Warum sieht man auf deinem Profilbild nicht, dass du im Rollstuhl sitzt?

„Warum sieht man auf deinem Profilbild nicht, dass du im Rollstuhl sitzt?“
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Im Zeitalter von Social Media ist es ganz normal diverse Profile zu haben. Instagram, Facebook, Twitter und Snapchat bieten jedem Menschen die Möglichkeit sich so darzustellen, wie man gerne gesehen werden möchte. Selbstverständlich wird dabei viel inszeniert und auch ein bisschen geschummelt. Schließlich wollen viele Menschen das beste von sich im Netz präsentieren.

Dennoch stoße ich bei den meisten Leuten auf Unverständnis, wenn man auf meinen Profilbildern nicht direkt erkennen kann, dass ich eine Rollstuhlfahrerin bin. Einige Leute nehmen direkt an, dass ich diese Tatsache verheimlichen möchte oder nicht dazu stehe. Dabei verstehen es einige Personen nicht, dass die virtuelle Welt einer der wenigen Orte ist, wo ich einfach eine von vielen sein kann.

Niemand kritisiert mich dafür, dass man auf meinen Bildern nicht erkennt, dass ich einen Migrationshintergrund habe, mein Alter nicht verrate oder was für einen Beruf ich genau habe, aber der Rollstuhl soll gefälligst erkennbar sein. Damit die anderen besser wissen, wie sie mit mir umgehen sollen. Vielleicht sollten wir Rollstuhlfahrer denen zu liebe, wie bei einem Ikea Möbelstück, eine Gebrauchsanweisung, in allen Sprachen mit uns tragen. Oder eine Art Beipackzettel aushändigen.

Ich soll meinen Rollstuhl klar sichtbar machen, aber wenn ein netter junger Mann seit Wochen mit mir chattet und erst nach zwei Monaten in unseren Gesprächen beiläufig erwähnt, dass er verheiratet ist, auf BDSM steht, drei Kinder hat und arbeitssuchend ist, dann muss man das als „kennenlernen“ verbuchen. Aber der Rollstuhl, der muss direkt erwähnt werden.

Im Durchschnitt hat ein Rollstuhlfahrer drei Tage Zeit, um den Rollstuhl so feinfühlig wie möglich zur Sprache zu bringen. Der unwissende Läufer soll natürlich nicht erschreckt werden, oder verunsichert, bis er realisiert, dass er/sie sich für jemanden interessieren, der anders ist, als viele andere Menschen. (Das Privileg offiziell anderes sein zu dürfen, scheint nur den Hipsters dieser Zeit zu gelten.) Wenn diese drei Tage abgelaufen sind und man den Rollstuhl immer noch nicht erwähnt hat, dann gilt das als eine Art betrug für einige Menschen. Die erste Reaktion nach der Offenbarung eine Rollstuhlfahrerin zu sein, war bisher fast immer gleich. „Das ist doch kein Problem, dass ändert doch gar nichts, usw.“ Unabhängig davon, ob es nun Männer oder Frauen sind, war der Umgang danach auf einmal anders als vorher.

Aber gehen wir mal weg vom privaten Anschreiben und kommen zu meinem „virtuelle Berufsleben“. Ich bin eine Frau, die politisch sehr interessiert ist und nebenbei (wie man so schön sagt) „irgendwas mit Medien“ macht. Obwohl ich mich mit gewissen Themen sehr gut auskenne, mich darüber gründlich Informiert und recherchiert habe, kommt oft der Satz: „Ja, aber du siehst die Welt ja aus einer ganz anderen Sichtweise.“ Als wäre bspw. die Wirtschaftskrise, der Nahostkonflikt oder Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen, für einen Rollstuhlfahrer etwas völlig Anderes.

In der realen Welt habe ich keine andere Wahl und muss oft erst einmal erklären, dass ich mich dennoch hübsch, selbstbewusst und stark fühle, bevor ich überhaupt ein anderes Thema, welches überhaupt nichts damit zu tun hat, ansprechen kann. Warum sonst gibt es kaum Sendungen, in den Rollstuhlfahrer eine Rolle spielen? (Man sieht sie nur, wenn es um Inklusion oder sowas geht.) Etwa weil alle Studios nicht Barrierefrei sind?

In der virtuellen Welt muss ich mich nicht erklären. Da bin ich eine von vielen und werde angeschrieben, kritisiert oder auch mal beleidigt, wie jeder andere auch. Deshalb sieht man auf meinen Profilbildern nicht, dass ich Rollstuhlfahrerin bin.

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